Ein Tag im Sommer
Als ich an jenem schicksalhaften Tag erwachte, bemerkte ich gerade noch, wie die Wohnungstür ins Schloss fiel. Langsam erhob ich mich, blieb aber noch eine Weile, um meine Augen ans einfallende Licht und den Rest des Körpers an die Mühsal der aufrechten Haltung zu gewöhnen, auf der Bettkante sitzen. In dieser Position verharrend, versuchte ich die vergangene Nacht Revue passieren zu lassen, wusste ich doch beim besten Willen nicht, wer noch vor wenigen Augenblicken mein kleines Einraumapartment verlassen hatte. Mein brummender Schädel verriet mir lediglich, dass entweder sehr viel Alkohol geflossen, oder aber, dass ich soeben Opfer eines Raubüberfalls geworden sein musste. Womöglich hatte sich der Räuber im Flur versteckt und mich nach Betreten meiner Wohnung hinterrücks niedergeschlagen. Ich fragte mich jedoch, warum sich der Räuber die Mühe gemacht haben sollte, nachdem er mich brutal niedergeschlagen hatte, meinen Körper aufs weiche Bett zu hieven. Da auf den ersten Blick auch Nichts zu fehlen schien, entschied ich mich doch für die erste Variante, die auch vom bitteren Geschmack auf meiner Zunge und der Menge an leeren herumliegenden Flaschen gestützt wurde.
Der Verlauf der letzten Stunden und die Identität meines nächtlichen Gastes wollt mir nicht ins Gedächtnis kommen. Immerhin wusste ich dank des Souvenirs am Ende des Bettes, dass es eine recht üppig bestückte Frau gewesen sein musste. Und aufgrund der leeren Kondomverpackung auf dem Fußboden, konnte ich annehmen, dass sie sich für meine Gastfreundschaft zu revanchieren gewusst hatte.
In der Einsicht sitzend auf dem Bett der Lösung des Rätsels um die Identität der Frau mit Sicherheit keinen Schritt näher zu kommen, entschied ich mich, das Badezimmer aufzusuchen, um wenigstens die sichtbaren Spuren der nächtlichen Strapazen loszuwerden und mich zu erleichtern. Ich kämpfte mich also, durch das Flaschenmeer taumelnd, in Richtung Bad. Dabei stieß ich mit dem Fuß gegen eine Flasche, die unversehens das gesamte Flaschenmeer dominoartig in Bewegung versetzte. Erschrocken durch das plötzliche Geklirr, verlor ich mein Gleichgewicht, trat auf eine Flasche, welche sodann unter meinem Gewicht zerbrach und mir gleich mehrere Scherben in den rechten Fuß jagte, in dessen Folge ich zusammensackte. Glücklicherweise brachte ich beim Aufprall auf den Laminatboden nicht noch weitere Flaschen zum zerbersten. Trotz, oder gerade wegen des Schmerzes, blieb ich zunächst einige Sekunden reglos am Boden liegen und atmete tief durch. Dann griff ich instinktiv nach der größten Scherbe, die aus meiner Fußsohle herausragte, fing ganz langsam an, an ihr zu ziehen, und genau in dem Moment, als die Scherbe das Innere meines Fußes in vollem Umfange verließ, ergoss sich eine Blutfontäne über das Flaschenmeer und der Radiowecker schallte mir entgegen >> And it’s been all over you…It’s a beautiful day…Don’t let it get away…It’s a beautiful day <<
Da sich gerade nichts anderes in direkter Nähe befand, griff ich nach dem BH und wickelte ihn mir um den Fuß. Dadurch bohrten sich leider die kleineren Scherben, die sich noch in meinem Fuß befanden, immer Tiefer ins Fleisch, so dass ich kurze geballte Schreie von mir gab. >> See the oil fields at first light << In dem Moment klopfte es an der Tür. Ich dachte sofort an die unbekannte Frau. Dass sie womöglich bemerkt hatte, dass ihre Brüste tiefer hingen als sonst oder nur kurz los war, um mich mit frischen Brötchen vom Bäcker zu überraschen. Da saß ich nun blutend auf dem Laminat, presste krampfhaft das Souvenir an meine Fußsohle und dachte darüber nach, wie irreal die Situation eigentlich war.
Wieder klopfte es. Dieses Mal vehementer als zuvor. >> Ich weiß, dass sie da sind! Nun öffnen sie schon die Tür << krächzte eine Stimme, die ich sofort meiner überaus charmanten Nachbarin aus der ersten Etage zuzuordnen wusste.
Sie war die Sorte Frau, die es sich, wegen ihres Mangels an sozialen Kontakten und Beschäftigungsmöglichkeiten, zur Aufgabe gemacht hatte, die Menschheit zu terrorisieren. Im Besonderen ihre Nachbarn, vor der Tür spielende Kinder und ihren kleinen Dackel, den sie, wohl aus nostalgischer Sentimentalität der alten Zeiten wegen, Blondi genannt hatte.
Kriechend kämpfte ich mich durch das Flaschenmeer in Richtung Wecker und brachte ihn mit einem beherzten Schlag zum Schweigen. Meine Nachbarin schien derweil ihr Vorhaben aufgegeben zu haben, denn im Flur herrschte, soweit ich das in meiner Verfassung beurteilen konnte, völlige Stille. Um auf Nummer sicher zu gehen erhob ich mich vorsichtig und hüpfte in Richtung Wohnungstür. Ich blickte durch den Türspion und da niemand zu sehen war, öffnete ich langsam die Tür. Sie schien sich offenbar wirklich wieder zurück in ihr Reich begeben zu haben. Ich hätte zufrieden wieder die Türe schließen und mich um meinen Fuß kümmern sollen aber stattdessen hüpfte ich, um auf Nummer sicher-sicher zu gehen, dem Geländer entgegen. Sie werden es sich sicher schon denken können, was als nächstes passierte-just in dem Moment als ich das Geländer erreichte, fiel die Türe ins Schloss und ich stand, nur mit Boxershort und BH am Körper haftend, im Hausflur. Meine bisher an den Tag gelegte Rationalität schwand und machte Platz für eine Fülle an Reaktionsmöglichkeiten;
Ich wollte Gott wegen seines grausamen Humors verfluchen, aber leider war ich Atheist
Ich wollte meine Nachtbekanntschaft verfluchen, die mich erst in diese Situation gebracht hat, was aber ohne die Kenntnis ihres Namens nur wenig befriedigt
Ich hätte mich selbst verfluchen können wegen meiner Blödheit, dachte mir aber, dass ich schon genug gestraft war
Also tat ich das für mich nächstliegende. Ich rannte die Treppen hinunter - an meinen Fuß verschwand ich diesmal keinen einzigen Gedanken- , hämmerte mit den Fäusten an die Pforte zur Hölle und wartete darauf, dass die alte Hexe endlich die Tür öffnete, um ihr alle angestaute Wut, Scham und Frustration in ihr arisches Gesicht schreien zu können. Als ich mich gerade so richtig in Rage gehämmert hatte, öffnete sich tatsächlich die Pforte. Ich blickte der Nazioma ins Gesicht, meine Zunge holte aus und es folgte auch ein gellender Schrei meinerseits, leider nicht der Erhoffte, denn Blondi, dieser Mini-Kerberos-Verschnitt, hatte sich in meinem rechten Fuß verbissen. Abermals an diesem Tag geriet ich ins Wanken, konnte aber am Geländer Halt finden und dachte gar nicht daran vor diesem Scheusal zu kapitulieren, also holte ich mit meinem rechten Bein so weit aus wie möglich und simulierte einen perfekten Torwartabstoß, der selbst Oliver Kahn zu seinen besten Zeiten zur Ehre gereicht hätte. Blondi flog, klatschte zunächst gegen die Decke, dass selbst der Putz von derselben regnete, fiel, kollidierte mit den Deutschen Tulpen auf der Fensterbank und stürzte zuletzt mit diesen zu Boden. Ein letztes Jaulen hallte durch den Hausflur, bevor Blondi, bedeckt von Deutschen Tulpen, in den Hades hinabstieg. Nun richtete ich wieder der alten Hexe, die ihrerseits das Schauspiel regungslos verfolgt hatte, meinen Blick zu und war gerade im Begriff mein Vorhaben endlich in die Tat umzusetzen, als sie schon mit ihrem Gehstock auf mich losstürmte, weit ausholte und gerade in dem Moment, als ich schon hinter dem Geländer in Deckung gehen wollte, sich mit der leeren Hand an die Brust fasste, ihr Gesicht verzog und samt Gehstock die Treppen in Richtung ihres geliebten Dackels hinunterstürzte.
Fortsetzung folgt...
